Unsere Ahnen

Und da war noch …

... die Sache mit unseren Ahnen

Ein Beitrag unserer Kolumnistin C. Eißing

Jeder braucht etwas, das ihn beschützt.

Von Zeit zu Zeit drängt uns das Schick­sal stehen zu bleiben und die Au­gen weit aufzumachen. Vielleicht hat man Schmerzen, die einen in die Knie zwin­gen. Vielleicht tut nichts weh, und doch fühlt es sich an, als würde der Seele die Haut abgezogen. Egal, wie alt man ist, man sucht nach Jemandem, der weiß, wie man diesen Schmerz aushält.
Es stehen Freunde an der Seite, aber genauso wenig wie sie eine Fisch­ver­gif­tung oder eine Mi­grä­ne­at­ta­cke über­neh­men können, so we­nig kön­nen sie dafür sor­gen, dass der innere Schmerz aufhört. Es sind fast immer Schick­sals­schlä­ge, die die wichtigsten Kreu­zun­gen im Leben markieren, und oft haben sie mit Verlust zu tun. Der Verlust eines geliebten Lebewesens, der Verlust von Gesundheit, der Verlust der Existenz.

Gut und hilfreich zu wissen, dass auch Andere diesen schweren Weg schon gegangen sind und irgendwie ihr Schick­sal gemeistert haben.

Wir alle blicken auf eine unermesslich lange Reihe von Ahnen zurück. Unser Leben hängt mit dem ihren zusammen, sonst gäbe es uns gar nicht, und das emotionale Familienerbe läßt sich nicht leugnen. Dennoch ist die Auf­merk­sam­keit, die wir den Alt­vor­de­ren schenken, oft sehr gering. Un­sere Gedanken enden meist schon bei den Großeltern, doch das ist eine sehr begrenzte Sicht der Dinge.

Die Trauma-Forschung hat un­wi­der­leg­bar am Beispiel von Ho­lo­caust-Opfern bewiesen, dass die Er­fah­run­gen unserer Vorfahren als sogenanntes 'emotionales Erbe' in uns gegenwärtig sind. Dieses Erbe betrifft zum Glück nicht nur die negativen Erlebnisse, sondern natürlich in hohem Maße auch positive Einflüsse und Begegnungen, Er­folg­rei­ches, Be­wäl­tig­tes.
Klingt das nicht phantastisch?
Dies hat absolut nichts mit neuzeitlicher Esoterik zu tun, denn bereits Sigmund Freud und Carl Gustav Jung be­schäf­tig­ten sich intensiv mit der Ahnen-The­ma­tik. Moderne Untersuchungen im Be­reich der Biologie und Medizin brin­gen uns dem Ver­ständ­nis der trans­ge­ne­ra­tio­na­len Wei­ter­gabe von Er­fah­run­gen nä­her. Die Erforschung des mensch­li­chen Genoms und das Wissen über die auf Zellebene ablaufende Re­pro­duk­tion des ge­ne­ti­schen Ma­te­ri­als waren be­reits Mei­len­steine der Wissenschaft, die uns einige Rätsel der Vererbung ent­schlüs­selt haben. Dies konfrontiert uns auch mit zwei Tatsachen:
1. Wir sind viel mehr als bisher gedacht in der Lage zu entscheiden, was wir 'aus unseren Genen machen'.
2. Wir sind in einem hohen Maße mit unseren Ahnen dadurch verbunden, dass deren Erfahrungen in uns wei­ter­le­ben.

Die Besinnung auf unsere Herkunft gibt uns etwas zurück, das wir im Laufe des Zi­vi­li­sa­tions­pro­zes­ses wie auch auf­grund der fort­schrei­ten­den Ori­en­tie­rung an Zahlen und Tempo in un­se­rem Leben zunehmend verloren haben: den Kontakt zur Erfahrung, zu Triumph und Nie­der­lage, zum Irrtum und zur Weisheit un­se­rer Vorfahren. Welch ein Schatz ruht da im Verborgenen. Dem 'Ahnen-Faktor' auf die Spur zu kommen und aus ihm zu lernen, sich dankbar auf die Stärke der Vorfahren zu besinnen, ist für uns eine echte Chance.

Dabei geht es nicht nur um Daten und Fakten, die vielleicht aus Kir­chen­bü­chern oder Stadtarchiven zu lesen sind, sondern viel mehr um eine Vorstellung davon, wie sie gelebt haben, wovon sie beeinflusst wurden und was ihr ei­gent­li­ches Schicksal war.
Man muss nicht gleich wie in einem hochherrschaftlichen Schloss eine Ah­nen­ga­le­rie oder einen meterlangen Stamm­baum errichten. Es reicht ein Bild, eine vergilbte Photographie oder, wie bei mir, ein ererbtes Teeservice mit Flecken und Sprüngen, um Erinnerungen zu wecken und sich verbunden zu fühlen.

Unsere Vergangenheit, unsere Familie – ganz egal wie viele Probleme oder Sorgenkinder es gab – haben uns zu der Person gemacht, die wir heute sind. Schauen wir uns unsere Vorfahren an, denken an ihre Geschichte, holen uns Mut und Zuversicht und schöpfen aus ihrem Wissen. Wir sind ein Teil von ihnen, ihre Kraft steckt auch in uns.
Dafür sollten wir dankbar sein.
Das sollten wir nicht vergessen.

Unsere Kolumnistin

Claudia Eißing


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