Rheydter Bauhaus Spaziergang 2020

Bauhaus

Rheydter 'Bauhaus'-Spaziergang

   27. August 2020

Eine Gruppe Interessierter traf sich am Rheydter Marktplatz, um zu klären:
Was ist überhaupt 'Bauhaus'?
Ein Handwerkermarkt? Eine Ideen-Schmiede? Eine einfallslose Stil­rich­tung?
Im Zuge des 100jährigen Bestehens ging man auch in Rheydt auf Spu­ren­suche und fand einige denk­mal­ge­schütz­te und sehenswerte Ge­bäu­de, die wir näher kennenlernen woll­ten.

Zunächst traten wir mittels alter Fo­to­gra­fien eine kleine Zeitreise an und ver­setz­ten uns in die Zeit um 1920. Wie sah der Marktplatz, der damals Fried­rich-Wilhelm-Platz hieß, überhaupt aus? Was hat sich alles verändert?

Von amüsanten Anekdoten über Maria Lenssen, den Kaiser und das Schwa­dro­nie­ren begleitet, machten wir uns auf den Weg zum ehemaligen Schü­ler­in­nen­wohn­heim auf der Müh­len­straße mit seinem parkähnlichen Garten. An die­sem Gebäude des mo­der­nen Bauens kann man die ty­pi­sche Kubusform, die Nutzung von neu­en Materialien wie Stahl, Glas und Be­ton sowie eines der Leitmotive des Bauhaus', nämlich das einfallende Licht, sehr gut analysieren.
Hier fanden wir auch den temporären Resonanzraum, kauri genannt; eine begehbare Skulptur, die uns zum Musizieren anregte, geschaffen von der Bildhauerin Nicola Schudy unter Mithilfe der Schülerinnen der Maria-Lenssen-Schule.

Einen kleinen Abstecher machten wir zum Denkmal für die jüdische Sy­na­go­ge, die am 10.11.1938 in Brand ge­steckt wurde. Anhand eines his­to­ri­schen Fotos aus dem Stadtarchiv konn­ten wir uns ein Bild von ihrer Prä­senz machen.

Unter diesem Eindruck gingen wir weiter zum Wohnhaus des jüdischen Tex­til­fa­bri­kanten Robert Stern, der als lang­jäh­ri­ger Stadtverordneter mit seiner Stif­tung einen wichtigen Beitrag zur Ar­men­für­sorge in Rheydt geleistet hat, be­vor er enteignet und seine Tuchfabrik arisiert wurde. Unter le­bens­be­droh­li­chen Schwie­rig­kei­ten konnte er sich mit seiner Familie nach England retten. Leider unterblieb die Un­ter­schutz­stel­lung der Villa durch die Untere Denkmalbehörde, sodass das Haus später be­dau­er­li­cher­weise um­fas­send modernisiert wurde. Den­noch kann man die Grundideen des 'Bau­haus' gut erkennen.

Auf nahegelegenen Bänken nahmen wir Platz, um den genialen Gedanken der Einfachheit des Bauhaus-Stils, gepaart mit energie- und zeitsparenden Bau­maß­nah­men sowie kos­ten­gün­sti­gen Normierungen anhand von vor­be­rei­teten Käsewürfeln im wahrsten Sinne zu begreifen. Dabei diskutierten wir über die variantenreiche Kubus-Form, den sogenannten Glasvorhang und andere typische Bauelemente unter Zu­hil­fe­nahme von weiteren Fotos.

An manchen denkmalgeschützten Häu­ser­fas­saden gingen wir später vorbei, um uns nun den Besonderheiten einiger Mehrfamilienhäuser zu widmen. In­zwi­schen erkannten wir die typischen Merk­ma­le und konnten sie ohne Zögern dem Bauhaus-Stil zuordnen, wie zum Beispiel Flachdach oder Sä­ge­zahn­mus­ter und Kannelierung der bevorzugt ver­wen­de­ten Zie­gel­stein­ver­blen­dung.

Bei einer weiteren kleinen Pause auf der Bruckner Allee, der so­ge­nann­ten Pracht­straße in Rheydt, erfuhren wir die Un­ter­schie­de zwischen den herr­schaft­li­chen Wohn­ver­hält­nis­sen des finanziell gut situierten Bürgertums und den ein­fachs­ten Wohnzuständen der Tex­til­ar­bei­ter. Dies wurde uns bei­spiels­wei­se auch anhand von Zu­stands­be­rich­ten und Ver­dienst­ta­bel­len verdeutlicht.
Auf der einen Seite gab es in den sogenannten Goldenen Zwanzigern trotz der fortschreitenden Inflation die oberen Zehntausend, die einem avant­gar­dis­ti­schen Lebens­stil un­ge­ahn­ten Aus­maßes frönten, und auf der anderen Sei­te Men­schen, die in wirt­schaft­li­cher Not am Rande des Exis­tenz­mi­ni­mums um ihr Über­le­ben kämpften.
Die Gesellschaft der Weimarer Republik war zutiefst gespalten.
Und inmitten dieser Zeit hielt die Mo­der­ne Einzug mit ihren neuen Vorstellungen von Politik, Kunst und Kultur in einem sozialeren Umfeld für alle Menschen.

Mit diesem revolutionären Gedanken stehen wir vor dem letzten Objekt unseres Bauhaus-Rundgangs, dem so­ge­nann­ten Fischerturm, der als Rhey­dter Uhrenturm mit seiner ehemals beleuchteten Lichtkuppel seit 1928 das ursprüngliche Bismarck-Denkmal er­setzt.

Ich bin sicher, dass alle Teilnehmer in­zwi­schen die meisten Objekte des 'Bauhaus' ohne Schwierigkeiten iden­ti­fi­zieren können. 'Form follows func­tion' - wenn man diesen Leitsatz ver­in­ner­licht, ist man schon auf dem bes­ten Weg ein Kenner der Materie zu wer­den.
Und wenn nicht ... dann wiederholen wir einfach den Rundgang.

Claudia Eißing

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